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Fahrradtour USA: Tagebuch


Vom Yellowstone zum Pazifik

38. Tag   39. Tag   40. Tag   41. Tag   42. Tag   43. Tag   44. Tag   45. Tag   46. Tag   47. Tag   48. Tag

38. Tag: Sonntag, 13. Juni

Strecke:
Old Faithful - Madison Junction - State Border WY/MO - West Yellowstone - 20 - State Border MO/ID - Macks Inn - Ashton - St.Anthony - 20 - 33 - Rexburg

Wetter:
schön, abends bedeckt und gewitterig; wechselhafte Winde, mehrheitlich leichter Rückenwind

Distanz: 178 km   Zeit: 7,3 h   Geschwindigkeit: 24,4 km/h

Total:
Distanz:
4015 km   Zeit: 206,8 h   Ø Geschwindigkeit: 19,4 km/h   Ø pro Tag: 106 km
Mehr Statistik und Zahlen

Ich stehe wie meistens um 5.30 h auf. Diesen Morgen beginne ich aber nicht mit Packen, sondern mit einem kurzen Spaziergang zum Geysir Basin: Die Dämpfe sehen in der Morgenkälte und im Sonnenaufgang ganz besonders aus, und zu meiner Überraschung geht auch gleich der Old Faithful los. Nach dem Breakfast-Buffet im Old Faithful fahre ich angenehm immer leicht abwärts im Morgenlicht durch den Yellowstone; überall hat es dampfende Hot Springs und rauchende Geysire, weidende Bisons und Elks.

Kaum hat man den Park verlassen, geht der laute Kommerz wieder los (im Park dominiert eher der stille Kommerz: alles ist sehr teuer). West Yellowstone in Montana hat eine ähnlich abstossende Atmosphäre wie Cody; dafür ist die Angestellte im Visitor Center sehr nett.

Im Bikeshop Free Wheel and Heel kann ich endlich mein Klickgeräusch im rechten Pedal untersuchen lassen. Dieses Klicken, das ich erstmals vor Shoshoni und seit zwei Tagen bei jeder Umdrehung gehört und im rechten Fuss gespürt habe, ist mir auf die Nerven gegangen; zudem verunsicherte es mich, weil ich nicht wusste, ob es etwas Ernsthaftes ist. Die Fahrradmechanikerin ist sehr kompetent und findet die Ursache sofort: eine leicht gelockerte Schraube im rechten Pedal und bei den Zahnkränzen. Ich bin sehr froh, dass es kein eigentlicher Defekt ist (sondern einmal mehr nur eine gelockerte Schraube). Ich checke erstmals seit Stroudsburg PA den Reifendruck und fahre dann weiter.

Etwa 20 km fahre ich insgesamt durch Montana; diese Strecke rechne ich zu Wyoming hinzu.

Staatsgrenze
Endgültig im Westen: letzte Wasserscheide auf der Staatsgrenze zu Idaho.

Nach West Yellowstone geht es zum dritten Mal und damit endgültig über eine Continental Divide auf 2120 m, die zugleich auch die Staatsgrenze zu Idaho ist. Nach dem kurzen Aufstieg folgt eine lange Abfahrt (500 Höhenmeter), auf der es immer wärmer, grüner und weiter wird. Nach kurzer Zeit findet man sich plötzlich wieder in einer breiten Ebene, die zum Teil bewaldet ist; die Berge sind wieder weit weg an den Horizont gerückt.

Heute ist ein Tag, an dem ich netto etwa 700 Höhenmeter hinunter fahre; das sind gute Voraussetzung und fast eine Bedingung, dass ich eine lange Strecke zurücklege. In der Ebene unten komme ich aber nicht sehr gut voran. Der Wind wechselt oft die Richtung, die Luft hier unten kommt mir nach den Tagen in den Bergen stickig heiss vor, und zudem herrscht an diesem Sonntag nachmittag ein sehr starker Rückreiseverkehr aus dem Yellowstone. Ein Grossteil der Strecke führt durch den Targhee National Forest, das heisst, ich fahre kilometerweit geradeaus durch Tannenwälder, was mich nicht gerade begeistert. Im Osten sieht man ab und zu die Berge der Teton Range; nur sie sind hoch genug, um über den Wald hinauszuragen. Der Höhepunkt des Tages ist die Abfahrt vom Ashton Hill: Während etwa 8 Kilometer brause ich vor allem dank Windunterstützung mit gut 50 km/h den nicht sehr steilen Hügel hinunter nach Ashton. Das war die bisher beste Abfahrt der ganzen Tour.

In Ashton besorge ich mir im Visitor Center das Gesamtverzeichnis aller Übernachtungsmöglichkeiten (Motels, Camping) in Idaho. Vor einem Food Market treffe ich dann Nils aus Colorado, der ebenfalls auf einer Fahrradtour ist und heute abend noch bis Rexburg fahren will. Er fragt, ob er mit mir fahren könne; ich stimme zu, und wir fahren zusammen zum Campingplatz in Rexburg. Wir plaudern (auf Deutsch, das er sehr gut spricht) über unsere Routen, unsere Fahrräder, unsere Berufe usw. Dann stellt sich heraus, dass wir praktisch dieselben Reisepläne habe: durch Idaho und Oregon nach San Francisco.

Je länger wir nebeneinander oder hintereinander pedalen, umso mehr geht mir das gemeinsame Fahren auf die Nerven. Entweder sehe ich sein Hinterrad vor mir, oder ich spüre sein Vorderrad hinter mir; ich fühle mich sehr unfrei, dann und dort anzuhalten und eine Pause zu machen, wo ich will: zudem kann ich die 4000 km nicht feiern, wie ich will. Mein Rhythmus hat sich in den letzten fünf Wochen derart eingespielt, das er keine Störung erträgt. In Rexburg beginnt es dann noch leicht zu regnen, ein Gewitter ist im Anzug, es ist 18.30 Uhr, und zum Campingplatz sind es noch etwa 8 km. Ich bin ziemlich müde und entschliesse mich, ein Motel zu nehmen; Nils kommt mit herein, ist entsetzt über die hohen Preisen und fragt mich, ob ich die Preise richtig verstanden habe. Ich fürchte, dass er noch auf die Idee kommt, ein Doppelzimmer mit mir teilen zu wollen, und gehe wieder hinaus, um ihm zu sagen, ich wolle alleine Fahrrad fahren und reisen. Er sagt, er verstehe das, und fährt weiter (zum Glück zieht das Gewitter dann an Rexburg vorbei); ich fühle mich richtig befreit. Er war mir nicht unsympathisch, aber ich wollte (und war auch nicht mehr fähig dazu) meine Fahrradtour und damit meine Idee nicht mit jemandem teilen.

Im Super 8 Motel (43 $) erhole ich mich von diesem langen Tag. Ein Bier bleibt mir leider verwehrt, weil es in Rexburg aus historisch-religiösen Gründen am Sonntag verboten ist, Alkohol zu verkaufen; der Verkäufer verweist mich auf einen grossen Liquor Store gerade ausserhalb der City Limit in drei Meilen Entfernung. Auch als ich ihm sage, ich sei zu Fuss unterwegs, bleibt er bei allem Verständnis für meinen Wunsch hart und macht keine Ausnahme.
Bilanz Wyoming

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39. Tag: Montag, 14. Juni

Strecke:
Rexburg - 33 - Terreton - Howe - 33 - 26 - Arco

Wetter:
schön, heiss; morgens leichter Rückenwind, nachmittags windstill

Distanz: 140 km   Zeit: 6,2 h   Geschwindigkeit: 22,6 km/h

Total:
Distanz:
4155 km   Zeit: 213,0 h   Ø Geschwindigkeit: 19,5 km/h   Ø pro Tag: 107 km
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Ich fahre früh, um 7 Uhr, los, das lohnt sich in jeder Hinsicht: weniger Verkehr am Morgen, längere Zeit kühl und abends mehr Zeit zum Ankommen, Retablieren usw.

Meine Strecke führt mich einmal mehr in die grosse Einsamkeit: nichts, gar nichts als weit und breit bis an den Horizont verbuschtes Grasland, in dem ich ab und zu eine verirrte Kuh erblicke. Im Unterschied zur Strecke von Casper bis Cody in Wyoming ist es hier praktisch flach, keine Hügel strukturieren die Landschaft, was die Einsamkeit noch grösser erscheinen lässt. Ein Mann, der mich beim Morgenkaffee an einer Tankstelle in Rexburg nach meinem Weg fragt, sagt denn auch: "You are going into the desert." Eine Wüste ist diese Gegend deshalb auch, weil sie voll von Lavafeldern ist, auf denen kaum etwas wächst. Am Horizont sieht man zwei einsame Vulkane. Nach Howe begrenzen nördlich der Strasse lange Bergtäler in Nord-Süd-Richtung die Ebene. In dieser Wüste befindet sich das Idaho National Engineering Laboratory, wo die USA unter anderem Atomstrom produzieren und wahrscheinlich auch experimentieren.

Bei
"You are going into the desert": Einsamkeit mit zwei Vulkankratern bei Howe, Idaho.

Diese Einsamkeit macht mir gar nichts aus. Ich habe Vertrauen in mein Fahrrad und in meine Ausdauer und bin mir sicher, auch 80 km ohne jegliche Infrastruktur gut zu bewältigen, wenn ich genügend Wasser und Proviant bei mir habe. Wichtig ist die Psychologie auf solchen Strecken. So langen Strecken mit wenig Infrastruktur teile ich zum Voraus distanz- und zeitmässig in Zwischenetappen und -ziele ein und lege die Pausenorte fest, damit ich die Übersicht behalte und mich nicht plötzlich in dieser Einsamkeit verliere.

Nur gerade in Terreton und Mud Lake ist etwas los, vor allem Landwirtschaft. Auf über 1300 m Höhe wird wieder geackert (Kartoffeln, Getreide) und Heu für den Verkauf produziert. Restlos sämtliche Felder werden bewässert, schon Mitte Juni. Idaho gilt als der Kartoffelstaat der USA; im Supermarket in Mud Lake kann man sogar Hautlotion aus Kartoffeln kaufen.

Auf den letzten Kilometern nach Arco kämpfe ich plötzlich gegen starken Gegenwind, und dann bin ich in der kleinen Stadt, die sich auf einem grossen Schild eingangs des Ortes noch heute stolz "First town of the world lightened by atomic power" nennt. Auf dem Mountain View RV Park schlage ich mein Zelt auf und habe genügend Zeit, endlich wieder einmal meine Garderobe zu waschen und zu schreiben und dabei zu beobachten, wie man ein solches RV einrichtet und an Strom, Wasser und Abwasser abschliesst - eine köstliche Unterhaltung. Zuletzt bin ich wie in einer Trutzburg von Mobilhomes umgeben und eingeklemmt. Auf ihrem Rundgang über den Campingplatz hält die Managerin noch einen Schwatz mit mir. Sie kann schon fast nicht glauben, dass ich von New York bis Arco mit dem Fahrrad gefahren bin; als ich ihr dann noch die Geschichte mit "My wife lives in San Francisco. When I arrive there, I will stay there" erzähle, verschlägt es ihr fast die Sprache. "You have a smart wife", meint sie kopfschüttelnd.

Zeltplatz
Zeltplatz Arco: Wer findet das Zelt inmitten der RVs?

Abends finde ich erstmals überhaupt in den USA eine Gartenbeiz. Im "Grandpa's Southern BBQ" bietet ein überschäumend herzliches schwarzes Ehepaar einen lausigen Service und sehr gutes, aber mengenmässig etwas knappes Essen; ich esse die Knochen meiner Beef-Rips so sauber ab wie ein ausgehungerter Hund.
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40. Tag: Dienstag, 15. Juni

Strecke:
Arco - 20 - Craters of the Moon - Carey - Fairfield

Wetter:
schön, heiss; ab Craters starker Rückenwind aus Ost

Distanz: 140 km   Zeit: 5,3 h   Geschwindigkeit: 26,4 km/h

Total:
Distanz:
4295 km   Zeit: 218,3 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 107 km
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Von Arco sind es 30 km bis zum Craters of the Moon National Monument, auf das ich mich sehr freue. Ich erlebe eine schwarze, heisse Lavalandschaft, die sich über mehr als 50 km erstreckt und die seltsam mit den Schneebergen am Horizont kontrastiert. Ich gebe die Fahrradtaschen beim Park Entrance ab und fahre den 10 km langen Drive durch die Lavafelder und Vulkane.

Craters
Unwirtlich wie auf dem Mond: Craters of the Moon, westlich von Arco.

Interessant ist, dass diese Vulkane den Siedlern auf ihren Trails als Landmark geholfen haben, den richtigen Weg zu finden. Wie auf Schildern eindrücklich erklärt wird, könnte man diese Vulkane heute als Landmark kaum mehr gebrauchen, weil sie im Dunst der verschmutzten Luft nicht mehr weit genug sichtbar sind. Der Dunst der verschmutzten Luft - so wird beiläufig und vage erklärt - hänge mit Human Activities zusammen. Verrückte Welt: Vor nicht einmal 150 Jahren bahnen sich hoffnungsvolle Europäer den Weg durch den amerikanischen Kontinent, zerstören die einheimische Kultur, bringen ihre eigenen Pflanzen und Tiere mit, modeln jeden Quadratmeter Land um, erheben sich zur Weltmacht und machen dabei in atemberaubendem Tempo innerhalb eines Jahrhunderts so viel Dreck, dass sie die Landmarks, die ihnen den Weg durch dieses Neuland geebnet haben, nicht mehr sehen. Die USA mit ihrer so kurzen Geschichte sind schon daran, die Wurzeln dieser so kurzen Geschichte unsichtbar zu machen.

Beim Visitor Center der Craters treffe ich hinter der Theke die schwarze Frau von der Gartenbeiz wieder an, die dort offenbar als Zweitjob tagsüber arbeitet.

Es ist schon fast Mittag, als ich weiterfahre: das reicht gut bis Bellevue, meinem Ziel für heute, denke ich. Doch dann bläst der beste Rückenwind der ganzen Reise. Die 30 km bis Carey lege ich in 45 Minuten zurück - herrlich! Ich entschliesse mich kurzfristig, bis Fairfield zu fahren, wo man gemäss Auskunft der Stadtverwaltung im City Park gratis zelten kann. Ausserdem hätte es zur Not auch ein Motel in Fairfield. Ich komme so schnell voran, dass ich es selbst fast nicht glauben kann.

Highway
Schnurgerade durchs Niemandsland mit Rückenwind Richtung Westen: kurz vor Fairfield.

Zwar geht es nach Fairfield über eine ewig lange einsame Strasse fast ununterbrochen hinauf, aber ziemlich sachte. Die Landschaft entlang ist dieser Strasse ist sehr seltsam: intensiv bewässerte Landwirtschaft wechselt mit Krater- und Lavafeldern ab, die voll von Löchern und tiefer gelegenen Flüssen sind.

Ich bin froh, bis nach Fairfield zu kommen. Erstens reicht es so morgen gut nach Boise, und zweitens kann ich mir den Umweg nach Bellevue (an Hwy 75, 16 km nördlich Hwy 20) sparen.

In Fairfield schlage ich im City Park mein Zelt auf und habe ein bisschen ein komisches Gefühl. Der City Park, etwa 100 x 200m gross, befindet sich mitten im Ort, mit vielen Bäumen, einem Spielplatz, einem kleinen Platz für Rodeo und einigen Picknick Tables sowie einem Häuschen mit Restrooms; um den Park führt eine ungeteerte Strasse mit Wohnhäusern auf der andern Seite. Leider hat es keine Duschen, aber da gerade der Rasensprenkler in Betrieb ist, dusche ich mich unter diesem Sprenkler. Einige Autos fahren die Strasse auf und ab, Mütter mit Kindern laufen an meinem Zelt vorbei, aber niemand sagt etwas ausser freundlich wie immer "How are you doing?". Ich fühle mich zwar ein bisschen ausgestellt, aber nach den guten Erfahrungen habe ich keine Angst. Nach dem Znacht schlafe ich schliesslich ruhig ein.
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41. Tag: Mittwoch, 16. Juni

Strecke:
Fairfield - 20 - Hill City - Mountain Home - I 84 - Boise

Wetter:
schön, heiss; Gegenwind aus Westen, heftig am Nachmittag

Distanz: 154 km   Zeit: 7,6 h   Geschwindigkeit: 20,3 km/h

Total:
Distanz:
4449 km   Zeit: 225,9 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 109 km
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Am Morgen früh erwache ich ungestört in meinem Zelt im City Park. Vorbeifahrende Leute grüssen freundlich, als ob Camper im City Park das normalste der Welt wären. Ein Mann verschiebt die Wasserleitungen und Rasensprenkler, kommt dann zu mir und sagt, er stelle das Wasser erst an, wenn ich gegangen sei. Die Abfahrt verzögert sich aber leider, da bei der Schraubenkontrolle am Gepäckträger plötzlich die Schraube von Stroudsburg PE nicht mehr richtig festzuziehen ist. Leicht besorgt fahre ich ab.

Die Fahrt über Hill City nach Mountain Home ist sehr schön, aber unerwartet bergig. Der erste Pass, den ich zu fahren habe, ist auf der Karte eingezeichnet; der Cat Creek Summit ist 1660 m hoch. Die Castle Rocks unterhalb des Passes waren eine der Landmarks auf dem Oregon Trail, auf den ich hier wieder treffe. Danach folgen aber weitere passartige Übergänge, die nirgends eingetragen sind. Endlich kommt die Abfahrt (ca. 600 m Höhendifferenz) nach Mountain Home; während dieser Abfahrt wird es immer heisser, die Luft bläst wie aus einem Fön, die Landschaft wird immer brauner und verdorrter, bis ich schliesslich auf etwa 900 m ü.M. in einer Steppenwüste bin, wo nicht einmal mehr bewässert wird.

Nach langen Erkundigungen komme ich leider selber zum Schluss, dass es für den Weg nach Boise keine Alternative zum I84 gibt (für Fahrräder erlaubt, da gleichzeitig Hwy 20 und 30). Der alte Hwy 30, der auf der Delorme-Karte noch eingetragen ist, ist aufgegeben und nicht mehr befahrbar. Zuerst komme ich noch flott voran, aber nach 10 km wird der Gegenwind immer heftiger und stärker, und schliesslich kämpfe ich mich im heissen Gegenwind und Staub mit etwa 15 km/h auf der Shoulder eines Interstates im Lärm von vorbeirasenden Trucks und Auto voran - meine bisher eindeutig unangenehmste Fahrt, zumal sie gut 40 km lang ist und es dauernd leicht ansteigt. In dieser Gegend zwischen den beiden Städten herrscht praktisch Wüste, alles ist verdorrt und braun-gelb verbrannt.

Ich habe die Distanz etwas unterschätzt; beim Exit 64 gebe ich meinen Plan auf, nach Meridian oder Nampa zu fahren, um so Boise zu umfahren. Auf dem schnellsten Weg zu einer Übernachtungsmöglichkeit, heisst mein Motto. So fahre ich nach einer längeren Pause am Exit 64 wohl oder übel wieder auf den Interstate. Die folgende Abfahrt nach Boise ist wegen des Gegenwinds mindestens so anstrengend wie unter normalen Verhältnissen eine mittelmässig steile Steigung.

Der Gegenwind ist tatsächlich das grösste Hindernis auf einer Fahrradtour. Schlimm dünkt mich aber nicht nur die bremsende Wirkung, sondern auch das ununterbrochen starke Rauschen des Windes, das Pfeifen um den Kopf und in den Ohren. Dieser Lärm geht mir manchmal sehr auf die Nerven.

Ich nehme den ersten Campground, den ich vom Interstate aus sehe; er liegt zwar direkt am Interstate und sieht ziemlich verjäst aus, aber ich bin nach insgesamt fast 70 km Interstate ziemlich am Ende meiner Kräfte. Nach dem Znacht zieht ein Gewitter auf, mein Zelt wird von Böen arg durchgeschüttelt, der Himmel ist pechschwarz, und es blitzt und donnert, vereinzelt fallen schwere Tropfen. Ob es später richtig geregnet hat, weiss ich nicht, denn ich schlafe sofort ein.
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42. Tag: Donnerstag, 17. Juni

Strecke:
Boise - 44 - Caldwell - 20/26 - State Border ID/OR - Nyssa - Vale

Wetter:
schön, heiss; leichter Rückenwind aus Osten

Distanz: 123 km   Zeit: 5,4 h   Geschwindigkeit: 22,8 km/h

Total:
Distanz:
4572 km   Zeit: 231,3 h   Ø Geschwindigkeit: 19,8 km/h   Ø pro Tag: 109 km
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Am Morgen früh starte ich bereits zum letzten Mal in Idaho. Ich fahre hinunter nach Boise, über dem gut sichtbar eine braune Dunstglocke hängt. Die ersten 30 km durch Boise und dann auf Hwy 44 nördlich des Interstates (auf Hwy 20/26 hat es extrem viel Verkehr, auf Hwy 44 weniger) sind Stadt- und Agglomerationsverkehr. Wie schon Casper lasse ich auch Boise vollständig beiseite; ich fühle mich mit dem Fahrrad und dem Gepäck überhaupt nicht wohl in den Städten. Man ist falsch angezogen, um eine Stadt zu besichtigen; man kann das Fahrrad mit dem Gepäck nirgends sicher versorgen; als Tourenbiker passt man nicht in eine Stadt.

Nach Boise beginnt langsam wieder Landwirtschaft, so intensiv, wie ich es bisher noch nie gesehen habe, vor allem nach der Einfahrt in Oregon von Nyssa bis Vale. Ausgeklügelte Kanalsysteme bringen Wasser zu jeder Kultur; alle Felder, ganz egal was darauf wächst, werden bewässert, auch das Getreide. Immerhin gibt es hier in die Region viele verschiedene Kulturen (Getreide, Mais, Kartoffeln, Zuckerrüben, Zwiebeln) und damit wohl eine Fruchtfolge. Höhepunkt des Tages ist auf der Brücke über den Snake River der Grenzübertritt nach Oregon, dem ersten Staat, der an den Pazifik grenzt.

Staatsgrenze
Über den Snake River nach Oregon: Der Pazifik rückt näher.

Sonst gibt es von dieser Entspannungsflachetappe nicht viel zu berichten. In Vale auf dem Prospector RV Park, der extra eine Tenting Area hat und überhaupt mit 5 $ sehr günstig sowie supersauber und schön ist, habe ich endlich wieder einmal genug Zeit für Fahrradpflege und alle anderen Arbeiten, die in den letzten Tagen, wo es abends spät geworden ist, zu kurz gekommen sind.

Seit Wyoming ist die Gegend zwischen den Ortschaften meistens menschenleer und völlig unbewohnt. Deshalb liegen auch die Campingground in den Ortschaften (und nicht wie im mittleren Westen irgendwo im Grünen). Das hat für mich den grossen Vorteil, dass ich in diesen kleinen Städten und Ortschaften vom Campground aus zu Fuss einkaufen und richtig Nachtessen gehen kann. In Vale habe ich wieder einmal derart Hunger, dass ich zwei Dinners brauche, um satt zu werden.
Bilanz Idaho

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43. Tag: Freitag, 18. Juni

Strecke:
Vale - 26 - Brogan - Brogan Hill Summit (1200 m) - Ironside - Eldorado Pass (1390 m) - Unity

Wetter:
schön, heiss; zum Teil starker Gegenwind aus Nordwest bis Südwest

Distanz: 104 km   Zeit: 6,2 h   Geschwindigkeit: 16,8 km/h

Total:
Distanz:
4676 km   Zeit: 237,5 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 109 km
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Ich starte zur 6-Pässe-Fahrt von Vale bis Prineville, die ich in drei Tagen bewältigen möchte. Die heutigen beiden Pässe sind dabei die tiefsten. Ich fahre um 6.30 Uhr in Vale ab, aber kaum ist die Sonne da, ist es auch schon heiss. Bis Brogan ist es flach, und der ganze Talboden wird landwirtschaftlich intensiv genutzt wie von Nyssa bis Vale.

Die knapp 70 km von Brogan über die beiden Pässe bis Unity ist eine sehr einsame Angelegenheit ohne Services; auch in Ironside gibt es keinen Nachschub. Also lade ich in Brogan mein Fahrrad voll mit Wasser und Proviant und fahre dann den Rest des Tages durch baumloses, verbuschtes, mehr oder weniger hügeliges Grasland; sehr selten sieht man ein paar Rinder. Die beiden Pässe, der Brogan Hill Summit mit 1200 m und der Eldorado Pass mit 1390 m, sind relativ problemlos; die steile Steigung mit je etwa 300 Höhenmetern Differenz ist jeweils nur wenige Kilometer lang. Viel mehr zu schaffen macht mir der Gegenwind zwischen den beiden Pässen sowie das hartnäckige Auf und Ab vom Brogan Hill Summit bis nach Ironside.

Pacific
Wieder gleich ticken: der letzte Zeitzonenwechsel mitten in Oregon auf dem Hwy 26.

Höhepunkt dieses Tages ist der letzte Zeitzonenwechsel: Ab heute habe ich pazifische Zeit und ticke damit im gleichen Takt wie Franziska.

Dank der gewonnenen Stunde bin ich schon um 15 Uhr in Unity, aber der nächstmögliche Übernachtungsort, Prairie City, ist trotzdem ausser Reichweite. Ich bespreche zwar mit der Rangerin auf der Ranger Station verschiedene Möglichkeiten, aber Unity bleibt mein heutiger Etappenankunftsort. So richte ich mich gemütlich auf dem Zeltplatz ein, kaufe ein und gehe dann auf ein Bier ins Cafe&Lounge im Ort. Dort treffe ich die Rangerin wieder und werde von der ganzen Reihe an der Theke herzlich aufgenommen und ausgefragt, so dass ich wieder einmal ausführlich von der Tour berichten kann.

Dort diskutieren wir verschiedene Wege, um an die Küste zu gelangen. Niemand kennt einen bessere Route als meine geplante über Prineville-Bend-Chemult-Rogue River Valley-Grants Pass nach Crescent City. Ausserdem erfahre ich, dass die Nordzufahrt zum Crater Lake wegen Schnee geschlossen sei und wahrscheinlich dieses Jahr überhaupt nicht mehr geöffnet werde. Zum Znacht erhalte ich schliesslich eine extragrosse Portion, nach der ich mehr als genug habe.

Abends bin ich müde, in verschiedener Hinsicht. Ich bin auch ein bisschen tourmüde geworden. Ich komme zwar wunderbar voran, aber die Tage beginnen sich in ihrem Ablauf immer mehr zu gleichen, und ich bringe nicht mehr dieselbe Offenheit für Landschaft und Leute auf. Ich befasse mich gedanklich vor allem mit der Ankunft und richte alles darauf aus, möglichst bald in San Francisco anzukommen.
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44. Tag: Samstag, 19. Juni

Strecke:
Unity - 26 - Blue Mountain Summit (1530 m) - Austin Junction - Dixie Pass Summit (1590 m) - Prairie City - John Day - Mt. Vernon - Dayville

Wetter:
morgens kalt, ab John Day heiss; schön; leichter Gegenwind aus West, nachmittags zunehmend

Distanz: 129 km   Zeit: 6,3 h   Geschwindigkeit: 20,5 km/h

Total:
Distanz:
4805 km   Zeit: 243,8 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 109 km
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Die Höhe über Meer wirkt sich hier direkt auf die Temperatur aus. Im Unterschied zu gestern in Vale auf etwa 750 m friere ich heute morgen in Unity auf 1200 m beim Frühstück und beim Packen. Ich komme flott voran und fahre vor allem durch Wald über den Blue Mountain Pass und eine schöne Abfahrt nach Austin Junction; kurz vor Austin Junction ist allerdings nochmals ein kleiner Pass zu fahren, den ich nicht erwartet habe.

In Austin Junction treffe ich auf die offizielle ACA-Route, auf der ich bis Prineville bleiben werde. Tatsächlich treffe ich heute "massenhaft" Fahrradfahrer an. Die ersten beiden winken nur knapp, als sie in Austin Junction an mir vorbei fahren. Der dritte fährt von Eugene OR nach Denver und hat's eilig. Ich stärke mich mit dem Morgenkaffee, auf das ich heute lange warten musste. Im Restaurant ist man sich Fahrradfahrer gewöhnt. Ein paar hundert Biker würden jedes Jahr hier vorbeifahren, sagt der Kellner, der trotzdem sehr interessiert ist an meinem Fahrrad.

Dann geht's weiter auf den Dixie Pass, der sehr angenehm zu fahren ist; er zieht sich zwar mit gut 10 km ziemlich in die Länge, ist dafür aber nicht steil.

Dixie
Dixie Summit: mit 1590 m der höchste der sechs Pässe zwischen Vale und Prineville.

Unmittelbar unterhalb des Passes, als ich mich anziehe für die Abfahrt, hält ein Auto neben mir; ein Mann steigt aus, und wir kommen ins Gespräch. Er heisst Michael, kommt aus California und spricht noch ein wenig deutsch, da sein Vater aus dem Saarland stammt. Er reisst mir eine Zigarette aus, will mir dafür 1 $ geben, ist reizend nett, bestätigt, dass die Nordzufahrt zum Crater Lake geschlossen ist und erkundigt sich, ob ich genug Wasser habe; das hat bisher noch niemand getan. Zu guter Letzt gibt er mir Bonbons aus California mit auf den Weg - ein weiteres Zeichen, dass es nicht mehr weit ist bis zum Ziel.

Strawberry
Auf der Fahrt ins John Day River Valley: die Strawberry Mountains.

Nach der langen Abfahrt in Richtung John Day, während der ich immer die Strawberry Mountains vor Augen habe, kommt mir ein Fahrradtourenfahrendes Paar entgegen. Die beiden haben wieder eine US-typische Ausrüstung (so weit man nach so wenigen Tourenfahrern von typisch sprechen kann): fette Aluminium-Rahmen mit superschmalen Felgen und Reifen sowie Rennlenker. Wir sprechen lange über Reiseziele, Fahrradausrüstung, Beruf, Wetter und Strassen und informieren uns gegenseitig, was wir noch zu erwarten haben. Dann plötzlich sagt er "Nice talking to you", Handschlag, und weg sind sie, und ich stehe ein bisschen verdutzt da auf der falschen Strassenseite. Auch wenn man das Klischee der oberflächlichen Amerikaner kennt: Ich bin oft überrascht bis konsterniert, wie meine Gesprächspartner einen längeren Talk unvermittelt und übergangslos abbrechen.

Ich fahre weiter, durch John Day hindurch, und habe zunehmend gegen Hitze und Gegenwind zu kämpfen. Mein Ziel ist Dayville, wo es gemäss ACA bei der Presbyterian Church ein Hostel gibt; man solle im Haus nebenan bei Millie klopfen. Das mache ich dann auch, nachdem ich mich bei einem Nachbarn versichert habe, wo Millie wohnt. Durch die Fliegengittertür sehe ich im dunkeln bei Lampenlicht eine alte Frau sitzen, die mit der Lupe Zeitung liest. Als ich klopfe, kommt sie heraus und spricht drauflos wie ein Wasserfall. Ich verstehe kaum ein Wort. Sie zeigt mir das Hostel, und erst jetzt begreife ich: Im Gemeinschaftsraum, der an die Kirche anschliesst, hat es eine Küche, Tische, eine Dusche und ein WC, und geschlafen wird im Sanctuary, in der Kirche, auf dem Boden im Schlafsack. Dieses Hostel gebe es seit 1976, verstehe ich, und die Dusche wurde extra für die Biker eingerichtet; den Rest der Geschichte verstehe ich leider nicht.

Church
Kirche als Hostel: die Presbyterian Church in Dayville.

Spannend ist das Gästebuch, in das sich seit Anfang dieser Saison etwa 20 Biker eingetragen haben. Am schönsten ist die Geschichte von Andrew aus Colorado, der mit dem Fahrrad nach Seattle fährt, um dort seine Freundin zu treffen und sie zu fragen, ob sie ihn heiraten wolle. Solche Geschichten sind für Franziska und mich - örtlich adaptiert - auch schon ausgedacht worden.

Ich mache mich im Gemeinschaftsraum breit, lüfte alle meine Sachen gut aus und geniesse es, nach den Zeltnächten wieder einmal drinnen zu schlafen. Dayville ist ein hübsches Nest; es hat sogar ein Italian Restaurant, wo ich endlich einmal etwas Anderes als Friteusen-Food geniesse. Ich bin wieder gut im Schuss nach dem heutigen Tag, aber ich schaffe es nicht, in der Kirche zu übernachten. Ich komme in dieser Stimmung nicht zur Ruhe und richte mich deshalb auf dem Boden im Gemeinschaftsraum ein.
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45. Tag: Sonntag, 20. Juni

Strecke:
Dayville - 26 - Keyes Creek Summit (1310 m) - Mitchell - Ochoco Summit (1420 m) - Prineville

Wetter:
leicht bewölkt bis bedeckt, kühl; abends Regen; mässiger Gegenwind aus West

Distanz: 137 km   Zeit: 7,3 h   Geschwindigkeit: 18,8 km/h

Total:
Distanz:
4942 km   Zeit: 251,1 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 110 km
Mehr Statistik und Zahlen

Am frühen Morgen erlebe ich eine wunderschöne Fahrt dem John Day River entlang, durch die Schlucht zum John Day Fossil Beds National Monument und durch die Table Mountains. Die Passstrasse führt zuerst in einem langen Aufstieg in ein Hochtal und dann nach einem Schlussaufstieg zum Keyes Creek Summit auf 1310 m. Insgesamt fährt man während 40 km zum Teil happig bergauf und gewinnt dabei knapp 600 m Höhe.

Unterwegs treffe ich schon wieder einen Tourenbiker an, mit dem ich lange über alles spreche, was Coast-to-coast-Biker bewegt. Wir freuen uns, dass wir beide Ortlieb-Taschen haben. Er ist etwa 50 Jahren alt, Notfallarzt (hat aber keine Apotheke bei sich) und macht jeden Sommer irgendeine grössere Tour durch die Natur; dies ist aber seine erste Biketour, und er fährt von Oregon nach Vermont, wo er und seine Familie wohnen. Er macht ein paar Fotos von mir fahrenderweise.

Die Abfahrt nach Mitchell ist sehr kurz und sehr steil (600 m auf 8 km), aber der Gegenwind hält mich immer unter 40 km/h. In Mitchell tanke ich wieder auf für den zweiten Pass und komme dabei mit zwei Ehepaaren aus Bend ins Gespräch, die mich morgen zum Übernachten einladen wollen. Ich erkläre ihnen, dass ich morgen weit über Bend hinaus fahren wolle und dass es mir nun ein bisschen zu eilen beginne. "I'm looking forward so see my wife in San Francisco again", sage ich. "I don't blame you", meinen sie verständnisvoll.

Beim Aufstieg zum Ochoco Pass (mit 20 km Aufstieg und gut 600 m Höhendifferenz auf 1420m sehr lange und sehr steil) sehe ich von weitem, wie sich ein Mann anschickt, mich zu fotografieren. Auf seiner Höhe angelangt, halte ich an. Er ist Journalist bei der lokalen Wochenzeitujng Blue Mountain Eagle und will einen kurzen Bericht mit Foto publizieren; da er kaum etwas fragt, statte ich ihn mit den nötigen Informationen für ein paar Zeilen aus. (Der Bericht sollte allerdings erst nach meiner Ankunft in San Francisco erscheinen.)

Artikel
Erst nach der Ankunft in San Francisco erschienen: Bild und Legende im Blue Mountain Eagle (von David Carkhuff).

Der Ochoco Pass bringt mich arg ins Schwitzen. Er ist anstrengend zu fahren in diesem schwülen Wetter, und es herrscht wieder einmal Sonntagsverkehr. Zudem habe ich erstmals zu wenig Proviant bei mir; ich habe den Pass unterschätzt und zu sehr auf die leichte Schulter genommen. Dabei hätte ich wissen können, dass die beiden Pässe heute die härtesten dieser sechs Pässe von Vale bis Prineville sein werden.

Ochoco
Ziemlich entkräftet: Ankunft auf dem Ochoco-Pass.

Oben angekommen, freue ich mich auf die Abfahrt nach Prineville. Das Profil wäre ideal, denn die Strasse führt während 50 km immer leicht abwärts. Aber der Gegenwind macht die Abfahrt zur Anstrengung, so dass ich sogar einen Hungerast habe.

Unterwegs treffe ich erneut einen Biker an, mit dem ich mich lange unterhalte. Es ist ein gutes Gefühl, diesen Bikern, die ihre Amerika-Durchquerung an der Pazifikküste vor wenigen Tagen gestartet haben, Tips und Ratschläge zu Routen und Unterkunft geben zu können. Ich fürchte nur, dass sie in den Plains arg in die Hitze kommen werden. Das ist der grosse Nachteil der West-Ost-Touren: Wegen des Schnees kann man erst so spät starten, dass man in den Plains unweigerlich in Hitze kommt.

In Prineville, ziemlich erschöpft und auch genervt vom erneut aggressivem Sonntagsrückreiseverkehr, nehme ich mir wieder einmal ein Motel, da ich Regen rieche. Die Frau im Little Pine Motel (34 $) winkt zwar ab, hier regne es eigentlich nie, aber eine halbe Stunde später regnet es heftig und lang die ganze Nacht hindurch. Ich bin froh, am Trocknen zu sein, und schlafe nach einem Nachtessen ganz alleine in einem leeren grossen Restaurant meinem Geburtstag entgegen.
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46. Tag: Montag, 21. Juni

Strecke:
Prineville - 126 - Powell-Butte - Powell Butte Highway - Bend - 97 - La Pine - Crescent - Chemult

Wetter:
warm, bewölkt; Gegenwind aus West, aber meistens vom Wald abgehalten

Distanz: 159 km   Zeit: 7,3 h   Geschwindigkeit: 21,8 km/h

Total:
Distanz:
5101 km   Zeit: 258,4 h   Ø Geschwindigkeit: 19,7 km/h   Ø pro Tag: 111 km
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Morgens werde ich beim Müesli im Motelzimmer von Franziska mit einem Telefongruss beschenkt und mache mich dann beschwingt auf den Weg. In Bend telefoniere ich mit Helen sowie Nadja und Elisabeth. Kurz danach sehe ich den Mann wieder, mit dem ich in Mitchell gesprochen hatte und der mich zum Übernachten einladen wollte. Er zweifelt, ob ich heute bis Chemult käme. Kurz nach Bend habe ich die 5000 km-Marke erreicht.

Ursprünglich habe ich geplant, nicht den schnellsten Weg über Hwy 97 zu fahren, sondern bei Sunriver Richtung Osten in die Berge abzubiegen und dann durch die Berge und den Seen entlang (Davis, Odell, Crescent, Lemolo und Diamond Lake) zum Crater Lake zu fahren. Aber ich bin langsam gesättigt mit Eindrücken; ausserdem wäre eine hügelige Strecke durch Wald mit wenig Aussicht zu erwarten. Ich ziehe deshalb die Abkürzung über Hwy 97 vor, auch wenn es mehr Verkehr hat und landschaftlich wahrscheinlich weniger schön ist.

Die Geburtstagsfahrt ist deshalb vor allem eine Überbrückungsetappe vom John Day River-Gebiet zum Crater Lake. Landschaftlich ist der heutige Tag gar nicht ergiebig, da man von Bend bis Chemult gut 100 km mehr oder weniger geradeaus durch dichten Tannenwald fährt und kaum je einmal zum Wald hinaus sieht. Das ist zwar ziemlich langweilig, hat aber den Vorteil, dass der Westwind abgehalten wird, der mich sonst auf meiner Fahrt in südwestlicher Richtung arg gebremst hätte. (Zum Geburtstag habe ich mir Rückenwind gewünscht.)

Abends erfahre ich in Chemult, dass ich erfreulicherweise bereits auf 1430 m Höhe bin und so einen ansehnlichen Teil der Höhendifferenz zum Crater Lake bereits bewältigt habe; gefühlsmässig habe ich die Strecke als flach empfunden und die Höhe von Chemult auf etwa 1200 m geschätzt. Als dann die Sonne untergeht, erfahre ich die Höhe selbst, denn es ist bitterkalt.

Die Nacht verbringe ich, gewissermassen als Geburtstagsgeschenk, nochmals in einem Motel, im Featherbed Inn, das seinen Namen zu recht trägt. Bei der Ankunft offeriert mir eine pensionierte Barmaid aus San Francisco einen Drink. Die Zeichen, dass ich San Francisco immer näher komme, mehren sich. Das Nachtessen erfolgt im traditionellen Stil aus der Friteuse.
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47. Tag: Dienstag, 22. Juni

Strecke:
Chemult - 97 - 138 - Cascade Summit (1780 m) - 230 - Union Creek - 62 - Prospect - Shady Cove - 62 - 234 - Gold Hill

Wetter:
schön; kühl in der Höhe, heiss in der Tiefe; leichter Gegenwind aus Südwest

Distanz: 173 km   Zeit: 7,6 h   Geschwindigkeit: 22,8 km/h

Total:
Distanz:
5274 km   Zeit: 266,0 h   Ø Geschwindigkeit: 19,8 km/h   Ø pro Tag: 112 km
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Lange und kalte Kilometer bleibe ich am Morgen immer noch im Wald eingesperrt; nicht einmal nach der Abzweigung zum Crater Lake hinauf öffnet sich der Blick.

Die Passstrasse geht während 20 km schnurgerade auf 1780 m zum Cascade Summit hinauf.

Cascade
Kein Kater nach dem Geburtstag: Cascade Summit.

Nur ganz kurz sieht man erstmals auf die mächtigen Berge, aber diese Blicke sind grandios. Riesen von Berge sind es, einzelne und einsam und eigen in der Form, überragen sie die ganz Landschaft. Mt. Thielsen, Mt. Scott und Mt. Bailey sind alles Vulkane unterschiedlichen Alters.

Strasse
22. Juni auf knapp 1800 m: Nordzufahrt zum Crater Lake wegen Schnee geschlossen.

Die Nordzufahrt zum Crater Lake ist tatsächlich geschlossen; wenige 100 m nach der Barriere ist die Strasse schon schneebedeckt, und das auf nicht einmal ganz 1800 m. Hier in Oregon hat es noch bis in viel tiefere Lagen Schnee als im Yellowstone, obwohl es zehn Tage her sind, dass ich dort durchgefahren bin.

Dann folgt der Super-Abschnitt dieses Tages: Während der Abfahrt vom Cascade Summit zum Diamond Lake und dann auf Hwy 138 Richtung Westen wird der Blick endlich ganz frei auf diese Berge, die ich vorher beim Hinauffahren von der anderen Seite gesehen habe. Immer und immer wieder halte ich an und staune über diese Berge.

Mount
Einer der schönsten Vulkanberge in der Cascade Range: Mount Thielsen (2755 m).

Danach folgt der nächste Superlativ: die grösste und längste Abfahrt meiner Tour von gut 1600 m auf unter 300 m in Grants Pass. Doch leider leider vermiest mir der Gegenwind die Freude. In steilen Partien der Abfahrt durchs Rogue River Valley komme ich kaum über 40 km/h, in den weniger steilen muss ich ziemlich kräftig treten, damit etwas passiert. Zudem wird es immer heisser, je tiefer ich komme.

Von Union Creek könnte ich auf Hwy 62 zum Crater Lake hochfahren, aber Union Creek liegt bereits auf nur noch gut 900 m und Crater Lake Village auf fast 2000 m. Ich bringe die Kraft für diese Steigung angesichts der sich nähernden Pazifikküste nicht mehr auf.

Das Rogue River Valley ist nichts Aufregendes, aber ziemlich wild und sehr schön, meistens dem rauschenden Bach entlang und im Wald, der immer höher und grüner und saftiger wird. Unglaublich sind diese starken, betörenden Düfte nach Harz und Beeren; immer wieder fahre ich richtiggehend in Duftwolken hinein.

Auf dieser Fahrt erlebt man alle Höhenstufen: vom Schnee neben der Strasse über die dank der Bewässerung grünen Felder und Weiden bis zur gelb-braun verdorrten Steppe. Wie als Zusammenfassung des Tages sieht man auf dem Weg nach Gold Hill auf noch etwa 300 m Höhe Richtung Osten den schneebedeckten Mt. McLoughlin (2850 m).

Gold
Rückblick auf einen Tag: verdorrtes Gras in der Ebene, Schnee auf dem Mount McLoughlin (2850 m).

In Shady Cove bin ich ziemlich kaputt, aber es ist erst 16 Uhr, und da ich langsam aber sicher den 28. Juni als Tag der Ankunft anpeile, wäre es besser, wenn ich noch ein bisschen weiterfahren würde. Wie wenn der Wind meine Bedürfnisse kennen würde, dreht er plötzlich auf Norden und macht mir den Entscheid leicht, noch die knapp 35 km nach Gold Hill unter die Räder zu nehmen. Dort erhalte ich inmitten von Trailern und RVs ein Zeltplätzchen mit Interstate-Hintergrundgeräuschkulisse zugewiesen. Ich unterhalte mich mit dem Campground-Chef ein bisschen über meine Fahrt, und beim Bezahlen gibt er mir 2 $ Discount. "Just for you", sagt er. "Why for me?", frage ich. "Because you're doing honest work", sagt er und macht einen abschätzigen Spruch über die RVs. Das freut mich als Anerkennung sehr.

Danach gehe ich ins Städtchen und esse in einem rudimentären Pizza&Pasta-Fast-Food-Schuppen einen Teller Spaghetti. Die Aussicht, morgen vielleicht bis an den Pazifik zu kommen, macht mich ganz kribbelig.
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48. Tag: Mittwoch, 23. Juni

Strecke:
Gold Hill - 99 - 199 - Cave Junction - State Border OR/CA - Gasquet - Hiochi - Jedediah Smith Redwoods State Park

Wetter:
schön; heiss; bis Passhöhe Rückenwind, nach Passhöhe Gegenwind; abends Nebel

Distanz: 142 km   Zeit: 6,8 h   Geschwindigkeit: 20,9 km/h

Total:
Distanz:
5416 km   Zeit: 272,8 h   Ø Geschwindigkeit: 19,9 km/h   Ø pro Tag: 113 km
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Ich muss mich den ganzen Tag lang beherrschen, mir nicht zu viele Hoffnungen zu machen, denn hinter jedem Hügelzug vermute ich schon den Pazifik und hoffe, einen ersten Blick auf mein Ziel zu erhaschen. Dabei - das habe ich inzwischen gelernt - sieht man meistens viel weniger weit als man meint, in den Bergen ohnehin. Der Horizont ist selten weiter als einige Kilometer entfernt.

Dem Rogue River entlang fahre ich südlich von Grants Pass durch; hier gibt's keine Probleme, den I 5 zu umgehen. Auf Hwy 199 geht es dann stetig aufwärts Richtung Staatsgrenze, aber die Steigung vom 280 m hoch gelegenen Grants Pass ist dank wunderbarem Rückenwind aus Osten kein Problem. Als erste Hürde ist der Hayes Hill Summit mit 490 m zu bewältigen. Danach führt die Strasse aber weiter aufwärts; der höchste Punkt ist erst nach der State Border beim Collier Tunnel auf knapp 700 m erreicht.

Bis Cave Junction herrscht sehr starker Verkehr, dann nimmt er markant ab. Dafür wird es sehr heiss. Die kurze Mittagspause in Cave Junction ist nur im Schatten erholsam. In einer Fast-Food-Pizzeria kühle ich mich etwas ab. Die Angestellten warnen mich vor der gefährlichen Strasse, dem Hwy 1999, an die Pazifikküste hinunter; sie sei sehr eng und kurvig.

Staatsgrenze
Letzte Staatsgrenze: von Oregon nach Kalifornien.

Nach Cave Junction jage ich der Staatsgrenze nach Kalifornien zu; ein ganz besonderer Übertritt in einen neuen Staat. Kalifornien wartet an seiner Grenze mit einer seltsamen Neuerung auf: "Agricultural inspection. All Vehicles Must Stop." Das habe ich bisher in den ganzen USA noch nirgends gesehen. Also stoppe ich auch. "Do you have cherries?", werde ich gefragt. Da ich keine habe, kann ich unbehelligt weiterfahren, immer noch aufwärts.

Anfangs bin ich begeistert, wieviel Verständnis den Fahrradfahrern in Kalifornien entgegengebracht wird. Nach der Staatsgrenze sind Schilder wie "Narrow winding Roads. Watch for Bicycles" an der Tagesordnung. Beim Collier-Tunnel kann man als Fahrradfahrer etwa 200 m vor dem Tunnel sogar ein Warnblinklicht in Gang setzen, damit die Autofahrer wissen, dass ein Fahrrad im Tunnel ist.

Nach dem Tunnel geht es noch gut 50 km bis zur Küste. Da es erst früher Nachmittag ist und eine lange Abfahrt auf mich wartet, sollte es kein Problem sein, bis nach Crescent City zu kommen. Ist es aber doch, denn von der Küste her weht ein scharfer Gegenwind. Mein Geschwindigkeitsdurchschnitt von über 20 km/h unmittelbar nach dem Tunnel erhöht sich nicht; ich bin hinunter trotz vollem Pedaleinsatz gleich schnell wie hinauf. Die Küste entgleitet mir mit jedem Kilometer; zudem ist es sehr heiss. Den Pazifik muss ich auf morgen verschieben. Dafür ist erstmals auf einem Meilendistanzanzeiger San Francisco angegeben: noch 359 Meilen (578 km). Das sollte in fünf Tagen gut zu schaffen sein.

Distanzanzeiger
Erstmals San Francisco angegeben: nur noch 578 km.

Trotz dem Ärger über den Wind geniesse ich die Fahrt in die Redwood-Wälder hinein; die Bäume werden immer höher und mächtiger, je tiefer ich komme. In Gasquet hat es leider keinen Zeltplatz; dafür helfen mir zwei Jugendliche mit einer Karte der State Parks weiter. So fahre ich noch bis Hiochi, wo ich einkaufe, und dann auf den Campground des Jedediah Smith Redwoods State Parks. In den californischen State Parks gibt es sogenannte Hiker/Biker Tent Spaces für 3 $ pro Nacht.

Diese Campground sind nicht nur billig, sondern sie sind vor allem wunderschön und meistens sehr gut eingerichtet mit Toiletten und Duschen. Ich stelle mein Zelt zwischen, neben und unter den Redwoods auf: es ist der schönste Platz, den ich je hatte. Dahinter fliesst der Smith River durchs Tal, einer der wenigen Flüsse in den USA, die nicht gestaut werden. Offenbar leben in dieser Gegend auch Bären, denn es hat Stangen und (allerdings viel zu kurze) Seile, um die Esswaren hoch genug aufzuhängen. Die Gefahr wird hier nicht so ernst genommen wie im Yellowstone, denn als ich beim Ranger für ein Seil nachfrage, winkt er ab.

Neben meinem Biker-Site logiert Volker aus Frankfurt a.M., der mit dem Fahrrad der Pazifikküste entlang von Norden nach Süden unterwegs ist. Wir teilen unsere Esswaren miteinander, und so komme ich in den Genuss von Nudeln mit Sauce. Wir sprechen lange zusammen über Fahrräder und ihre Pannen und Tücken. Leider zieht dann der übliche Küstennebel auf, so dass es früh dunkel und feucht wird.
Bilanz Oregon

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Fortsetzung 49. Tag (Pazifik - San Francisco)


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© Robert Stark, San Francisco, USA, 1999