Anreise und Start
Am Donnerstag, 6. Mai, ist es endlich soweit: Meine grosse USA-Fahrradtour von New York nach San Francisco, von der Brooklyn Bridge auf die Golden Gate Bridge, beginnt. Meine Mutter Helen begleitet mich am Morgen früh auf den Bahnhof Bern, wo wir uns verabschieden. Ich fahre mit dem Zug nach Zürich-Flughafen. Dort mache ich mein Fahrrad bereit für den Flug mit der Swissair nach New York JFK.
Nach langen Recherchen habe ich mich entschieden, nur die heiklen Stellen (Wechsel, Umwerfer, Bremsen, Lenker) zu polstern und das Fahrrad sonst "nackt" in einer Fahrradplastiktasche, die von der Swissair abgegeben wird, einzuchecken. Man soll sehen, dass es ein Fahrrad ist, damit es entsprechend sorgfältig behandelt wird; in einer Kiste sieht man nicht mehr, was darin ist, so dass keine Rücksicht auf den Inhalt genommen werden kann.
Im New York JFK nehme ich mein Gepäck und mein Fahrrad wieder in Empfang; alles scheint in bester Ordnung. Auch am Zoll und bei den Einreiseformalitäten habe ich keine Probleme, so dass ich schon bald bei der Vorfahrt stehe und auf Franziska Bernard warte, die mich abholen kommt. Ich warte draussen, um eine Zigarette rauchen zu können; mein Fahrrad und das Gepäck habe ich im Gebäude gut sichtbar direkt hinter der Glasscheibe deponiert.
Plötzlich geht ein Alarm los, Feuerwehrautos brausen vorbei, es stinkt fürchterlich schmürzelig, aber die Leute vor dem Gebäude werden nicht behelligt; man sieht auch kein Feuer und keinen Rauch. Als Passagiere aus dem Gebäude zu rennen kommen, komme ich endlich auf die Idee, mein Gepäck und mein Fahrrad zu evakuieren. Doch ich komme einen Moment zu spät. "Building's closed", ruft ein Police Officer. Ich versuche ihm zu erklären, dass mein Gepäck und mein Fahrrad drinnen sind und dass ich das alles unbedingt brauche für eine Fahrradtour. Er zeigt kein Erbarmen, so dass ich mich gezwungen sehe, an ihm vorbei ins Gebäude zu rennen. Doch der Police Officer ist trotz imponierender Körperfülle sehr flink, packt mich am Oberarm, wirft mich fast zu Boden und schreit mich an: "Building's closed." Dann versuche ich es mit unterwürfiger Demut und Hundeblick, und das funktioniert besser: Nach langem Bitten und Erklären lässt er sich erweichen und mich unter Polizeibegleitung meine Ware evakuieren.
Endlich kommt Heinz Wanzenried mit dem Auto, und wir fahren nach Bayport auf Long Island, wo ich bei Franziska Bernard übernachten und die letzten Reisevorbereitungen treffen kann. Diese Gelegenheit hat sich erst im letzten Moment ergeben und ist für mich eine so grosse Erleichterung; im (bereits gebuchten) Hotelzimmer in Manhattan hätte ich diese Vorbereitungen auch machen können, aber in einer vertrauten Umgebung fühlt man sich viel besser.
Dann der grosse Schreck: Das Fahrrad hat doch Schaden genommen im Flugzeug. Ich erinnere mich an den Werbespruch der Swissair: We care. Die vordere rechte Bremse ist verbogen, und das Vorderrad hat ein Achti. Ich gebe mir Mühe, ruhig zu bleiben. Unter Schweissausbrüchen gelingt es mir, die richtigen Speichen in die richtige Richtung zu drehen, um das Achti aus dem Rad herauszunehmen, und die Bremsen zu korrigieren. Ich habe das vorher noch nie gemacht.
Am Freitag, 7. Mai, dem Starttag, nieselt und nebelt es. Das ist nicht gerade das Wetter, das ich mir für den Start gewünscht habe. Mein neues Fahrrad ist bisher noch nie nass geworden, ich habe es immer geschont und bin nie bei Regen gefahren; das ist jetzt leider vorbei.
Dann bereits die erste Routenänderung: Ich hatte geplant, die vom ACA (Adventure Cycling Association) offiziell empfohlene Route zu nehmen. Sie verläuft von der Südspitze Manhattans mit der Ferry nach Staten Island und von dort über einen Sidewalk der Goethals Bridge nach New Jersey. Doch dann stellt sich nach einem Telefon heraus, dass dieser Sidewalk geschlossen ist; die Strasse selbst ist für Fahrräder ohnehin verboten.